Linn und ich
arbeiten im Assunta Social Centre,
das Teil des Assunta Komplexes, bestehend aus Vorschule/Kindergarten (Tadika) und Grundschule, ist.
Von der
Grundschule bekommen wir nur wenig mit, da sie am Fuße des Berges liegt, auf
dem sich das Assunta Social Centre
befindet.
Mit der Tadika wiederum teilen wir uns den
„Pausenhof“ und auch einige unserer Kinder besuchen die Einrichtung halbtägig.
Ich selbst bin dort nicht tätig, allerdings helfen die Schwestern, die das Social Centre leiten, auch bei der Tadika aus.
Das Schulsystem
in Malaysia ist sehr anders als das deutsche und es gibt einige Aspekte, mit
denen ich mich nicht anfreunden kann. So ist es Gang und Gebe die Kinder bei
Fehlverhalten zu schlagen. Die Sitzordnung in den Klassen ergibt sich aus der
Leistung der Kinder, wobei die guten Schüler vorne sitzen und die weniger guten
Schüler eben hinten.
Eine weitere
Tatsache ist, dass man in Malaysia nicht sitzen bleiben kann. Das geht einfach
nicht. So wird auf Wissenslücken keine Rücksicht genommen, sondern das Kind
einfach nach hinten gesetzt. Entsprechend gibt es auch in höheren Klassen noch
genügend Kinder, die nicht in der Lage sind zu lesen.
Einem Kind aus
unserem Social Centre versuchen wir
zurzeit das Subtrahieren beizubringen, was sie beim Lernen in der Schule nicht
verstanden hat. Inzwischen behandelt sie in Mathe Brüche und Bruchrechnung, was
sich ihr wohl kaum erschließen wird, wenn sie die vier Grundrechenarten nicht
beherrscht. Die Lehrerin des Mädchens erklärt ihre fehlenden Fähigkeiten mit
geistiger Zurückgebliebenheit, weshalb die Lehrerin natürlich nicht die
Möglichkeit hat, ihre diese fundamentalen Fähigkeiten beizubringen. Dem Mädchen
tut es selbstverständlich unwahrscheinlich gut täglich zu hören, dass sie geistig
zurückgeblieben ist.
Die Schulnoten
sind hier auch in der Regel keine Reflektion der schulischen Leistungen, da
auch Korruption ein großes Problem im malaysischen Schulsystem darstellt.
Durch unsere
Gastfamilien und andere Gleichaltrige, die wir kennengelernt haben, haben wir
außerdem Einiges über die Chancengleichheit in Malaysia gelernt.
So gelten
unterschiedliche Bestimmungen für Inder, Chinesen und Malays, wobei allerdings
allesamt die malaysische Staatsbürgerschaft haben. So brauchen Inder und
Chinesen deutlich bessere Noten um dieselben Unis besuchen zu können wie Malays
und müssen zudem noch höhere Gebühren zahlen. Das führt natürlich zu einer
angespannten Stimmung zwischen den verschiedenen Gruppierungen und der
nationale Werbeslogan „Satu Malaysia“ – „Ein Malaysia“, der für die Einheit und
die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung wirbt, spiegelt meiner Meinung
nach die Realität nicht vollkommen wieder.
Das Assunta Social Centre, in dem ich
arbeite, ist also die dritte Einrichtung des Assunta-Komplexes. Das Centre wird
ausschließlich von Schwestern des Franziskaner-Ordens geleitet und finanziert
sich durch Spenden der Gemeinde, sowie Freiwilligen, die einmal die Woche
Mittagessen kochen oder für 2 Stunden die Kinder unterrichten.
Im Centre
betreuen wir insgesamt 11 Kinder, wobei jedoch nie alle Kinder gleichzeitig
anwesend sind, da einige vormittags zur Tadika
müssen und andere nachmittags in die Schule gehen.
Sechs der Kinder,
die wir betreuen, kommen aus Familien, bei denen ein Elternteil fehlt und das
verbleibende Elternteil ganztägig arbeiten muss und dementsprechend weder die
Zeit noch die Mittel hat, die Kinder zu betreuen oder mit ihnen schulergänzend
zu lernen. Deshalb kommen sie vor der Schule oder nach der Tadika zu uns ins Social
Centre.
Die restlichen
fünf Kinder sind Flüchtlinge aus Myanmar. Bis heute war ich davon überzeugt,
dass es in Malaysia Flüchtlingen im Allgemeinen nicht gestattet sei, staatliche
Schulen zu besuchen. Eine Regulation, die ich schon für sehr zweifelhaft
befunden hatte. Heute wurde ich allerdings eines Besseren belehrt. So
beschränkt sich das Schulverbot lediglich auf Kinder aus Myanmar. Myanmaries
ist es nicht gestattet eine Schule in Malaysia zu besuchen. Eine Regel, die
mich so perplex macht, dass ich ungelogen nicht weiß, was ich dazu sagen soll.
Was ist denn der Sinn dahinter Flüchtlinge aufzunehmen, wenn es ihnen nicht
gestattet ist, eine Schule zu besuchen? Mit der fehlenden Bildung sind
natürlich großartige Jobchancen in Aussicht.
Alle fünf Kinder
in unserer Einrichtung sind offizielle UN- Flüchtlinge und nichtsdestotrotz ist
es ihnen nicht möglich einen offiziell anerkannten Schulabschluss zu erwerben.
Drei der fünf Kinder sind nun bereits seit fünf Jahren in Malaysia, wobei
Malaysia aufgrund der mangelnden Möglichkeiten lediglich ein Zwischenstopp ist.
Ultimativ verfolgen sie jedoch das Ziel, nach Amerika auszuwandern, wobei es
der amerikanischen Einwandererbehörde innerhalb der letzten fünf Jahre nicht
möglich war, eine Antwort zu der Anfrage zu geben. Weder Zusage noch Absage.
Ein Hoch auf die Bürokratie.
Den einzigen
Kompromiss, der bis jetzt eingegangen wurde, ist, dass die Myanmaries bis zum
Alter von 7 Jahren die Tadika, in der
auch die Schwestern mithelfen, besuchen dürfen. Da die meisten jedoch erst
später immigriert sind, ist ihnen selbst das entgangen. Diejenigen, die die Tadika besuchen, lernen dort Malaysisch. Eine Sprache, die niemand bei
ihnen zu Hause spricht und in der ihnen die meisten Kinder, deren Muttersprache
Malaysisch ist, um Weiten voraus sind. Aber darauf können die Lehrer
selbstverständlich keine Rücksicht nehmen. Aber macht ja nichts, denn sitzen
bleiben kann ja sowieso niemand.
Um fair zu
bleiben, muss ich natürlich noch einen Unterschied zwischen den verschiedenen
Religionsgruppen der Myanmaries, die immigrieren möchten, machen.
Im Allgemeinen
ist es eher schwierig für Myanmaries nach Malaysia zu immigrieren, da es
bereits viele Immigranten gibt und die Bevölkerungsgruppe hier nicht so
geschätzt wird. Ohne gültigen Pass die Grenze hierher zu überqueren gilt als
nahezu unmöglich. Ausgenommen sind davon allerdings muslimische Myanmaries,
denen es regelmäßig in großen Gruppen möglich ist, illegal zu immigrieren,
während buddhistische, hinduistische oder christliche Myanmaries selbst auf
legalem Weg Probleme haben ins Land zu kommen und hier Fuß zu fassen. Die
muslimischen Myanmaries, egal ob legal oder illegal, werden hingegen viel
offener in der Gemeinschaft aufgenommen und scheinen deutlich mehr
Möglichkeiten geboten bekommen. Juhu, Chancengleichheit.
Die letzten zwei
Monate lang sind lediglich unsere Myanmaries ins Social Centre gekommen, da mit
Beginn des neuen Schuljahres alle Schwestern in der Tadika beschäftigt waren und wir deshalb nicht so viele Kinder
gleichzeitig betreuen konnten.
Ich habe die zwei
Monate sehr genossen. Vormittags waren wir nur zu viert, weil der Jüngste (6
Jahre alt) in die Tadika gegangen
ist. Mit den restlichen (zwischen 9-14 Jahren) haben wir ein neues Projekt
gestartet um ihre Sprachfähigkeiten auszubauen:
Wir lesen mit
ihnen Harry Potter. Jeden Tag lesen wir ein Kapitel vor und die Kinder
verfassen ein Lesetagebuch. Zusätzlich lassen wir sie noch kreative
Schreibaufgaben, wie Tagebucheinträge einzelner Charaktere, Briefe und
Zeitungsartikel verfassen.
Jedes Kind hat
einen Charakter zugeteilt bekommen, über welchen Informationen gesammelt werden
müssen, welche stetig ergänzt werden. Außerdem machen wir Mindmaps über die
verschiedenen magischen Kreaturen, die erscheinen, die vier verschiedenen
Häuser und die verschiedenen Lehrer.
Während es
anfangs noch große Schwierigkeiten im Verständnis gab, beobachten wir eine
stete Steigerung. Wir machen zwar nach wie vor alle 2-3 Seiten Pause um das
Gelesene zusammenfassen zu lassen, aber mittlerweile geschieht das in der Regel
ohne Fragen.
Auch das
Interesse am Buch steigert sich stetig. Während anfangs eher über die
Schreibaufträge und das Lesetagebuch gejammert wurde, wurde bereits nach einer
Weile gefragt, ob wir nicht lieber zwei Kapitel an einem Tag lesen wollen.
Inzwischen sind wir an dem Punkt, dass die Kinder sich darum reißen, wer das
Buch mit nach Hause nehmen darf, um weiter zu lesen.
Auch die
Schreibfähigkeiten der Kinder steigern sich ermesslich. So enthielten am Anfang
Zusammenfassungen noch jedes einzelne Detail und Tagebucheinträge glichen im
Grunde den Zusammenfassungen.
Inzwischen sind
die Zusammenfassungen zum Teil mangellos und die kreativen Schreibaufträge von
so viel Witz und Kreativität geprägt, dass es nur Spaß macht sie zu lesen.
Insbesondere, da die Kinder mit Hilfe der Charakter-spezifischen Mindmaps ein
unfassbares Charakterverständnis entwickelt haben.
Die letzten zwei
Monate haben mir bei der Arbeit wirklich viel Freude bereitet. Auch wenn unser
Unterricht möglicherweise nicht lehrbuchorientiert ist, habe ich wirklich das
Gefühl, dass die Kinder Nutzen aus unserem Unterricht ziehen. So verbessen sie
ihr Leseverständnis, ihre Schreibfähigkeiten, ihr Hörverständnis und ihre
Sprachfähigkeiten. Und nicht zuletzt finden sie Gefallen am Lesen und das kann
jawohl wirklich nicht schaden.
Umso
frustrierender finde ich es jedoch zu sehen, wie diesen Kindern alle
Möglichkeiten im Leben verwehrt bleiben. Sie sind bereits seit fünf Jahren in
einem Land, das ihnen keine Schulausbildung ermöglicht, in der Hoffnung in ein
Land zu gehen, dass seit 5 Jahren nicht die Zeit findet, ihren Einreiseantrag
zu bearbeiten. Das Traurigste daran ist eigentlich, dass sie davon träumen vernünftige
Berufe später zu ergreifen; etwas, das ihnen mit Sicherheit, dank fehlender
offiziell anerkannter Bildung, verwehrt bleiben wird.
Liebste Grüße
Lena